Race to Alaska: “Ich schlief mit dem Messer in der Hand…”
Die zweite Auflage des wohl verrücktesten Bootsrennens der Welt wurde von einem Kat gewonnen, mit dem normale Menschen Matchraces segeln.
Drei Tage, 20 Stunden und 13 Minuten. Auf einem Marstöm M32 Kat, der aktuell bei der World Match Racing Tour eingesetzt wird. Mit Vollgas durch treibholzverseuchte Gewässer, die auch im Sommer kaum mehr als 10 Grad Celsius haben. Mit Strom, der an neuralgischen Punkten gut 10 Knoten betragen kann oder auch mal mehr. Und Winden, die von Totenstille bis Orkanstärke alles im Repertoire haben. Es ist nichts für Weicheier, nein, ganz sicher nicht, dieses Race to Alaska, das im Kürzel nur R2AK heißt und Menschen auf der ganzen Welt in seinen Bann zieht, weil es anders ist als jede Klubregatta oder jedes Mega-Event. Es ist teils Segelregatta, teils Raid und Abenteuer pur. Verrückt, gefährlich, aber auch: Unendlich unterhaltsam. Der Siegespreis beträgt 10,000 Dollar in bar, auf ein Zedernscheit genagelt. Zweiter Preis ist ein Satz Steakmesser. Das Gefühl im Ziel festzumachen und die polierte Messingglocke am Dock zu läuten: Unbezahlbar.

Im Sauseschritt nach Alaska: Team Mad Dog Racing mit dem ferrari-roten Marström M32 Kat. Foto: Dieter Loibner
New York Times, CNN, CBS, CBC, Outside Magazine, alle schickten Korrespondenten und Kamerateams, um die Geschichte zu erzählen von einem Rennen, dessen Kurs 750 Seemeilen lang ist. Er führt in zwei Etappen und den Spuren des berühmten Kapitäns George Vancouver durch das wilde Wasser der Inside Passage, vom US-Bundesstaat Washington über die kanadische Provinz Britisch Kolumbien nach Ketchikan in Alaska.

Multis, wo man hinguckt: Die Flotte vor dem Start zum Prolog von Port Townsend nach Victoria. Foto: Dieter Loibner
Zugelassen ist alles, was schwimmt und angetrieben wird vom Wind und/oder Muskelkraft. Kommen darf jeder, doch bei weitem nicht jeder kommt auch an. Dieses Jahr dabei: Multihulls und Kielyachten verschiedenster Bauarten, aber auch Ruderboote, eine Segeldrohne, einer am Standup-Paddelboard, ein Team von Querschnittgelähmten und mehrere Frauenteams. Sie alle segeln, rudern und paddeln im direkten Wettkampf gegeneinander, völlig vergütungsfrei. Wer zuerst da ist, gewinnt. Ganz einfach. Aber alles andere als easy.

Ausgefallen und ausgeschieden: Eines der Garagenboote, das schon während des Prologs auseinanderbrach. Boot kaputt, Segler gerettet. Foto: Dieter Loibner
Die ersten Tage herrschten leichte Winde, die Skipper Randy Miller und seine Jungs vom Mad Dog Racing mit ihrem ferrari-roten und stark modifizierten Marström M32-Kat (z.B. mit großer Leichtwindfock) brutal ausnutzten und in einem Wahnsinnsritt den Streckenrekord aus dem Vorjahr gleich um mehr als einen Tag unterboten. “Glück” ist was man brauche, so Miller, wenn man mit bis zu 24 Knoten durch die pechschwarze Nacht brettert, ohne Sicht, ohne Radar und ohne Betreuerboot, das im Kielwasser hinterher hechelt. Denn auch dies ist bei dieser Veranstaltung tabu. Wenn’s scheppert heißt es: Game over. Ganz einfach. Ruder weg, Schwert abgerissen, Boot leck und/oder gekentert. Stunden im 10 Grad Wasser, bis man mit Rettung rechnen kann. Nichts für Weicheier eben.

Treten für Knoten: Einer der genialen Pedalantriebe auf Bad Kitty. Ein Ruderschaden zwang den betagten Kat allerdings zur Aufgabe. Foto: Dieter Loibner
Geschlafen hat die Crew auch, im Wechsel, aber niemals lange und zwar im Biwak am Wing. Weil aber meist gekreuzt wurde, gab es häufige Richtungswechsel. Also: Raus aus dem Gemach, rüber auf die andere Seite samt dem ganzen Klimbim, wieder in den Sack und schnell weiterrüsseln, bis zur nächsten Wende. Gekocht wurde nicht. Hätte man aber können, sagt Miller, doch das hätte nur aufgehalten. Der einzige Luxus: Der Abort. Ein Plastikeimer mit Klobrille. “Alle haben mich deswegen aufgezogen, doch das war eine wichtige und richtige Investition”, lacht der Käpt’n.

An die Riemen (und Paddel): Team Onism, eine Damencrew, rudert ihr Fahrzeug aus dem Hafen von Victoria. Foto: Dieter Loibner
“Ich schlief mit Messer in der Hand,” erzählt er dann noch, damit er sich damit im Falle einer Kenterung oder einem Mann über Bord Situation "schnell aus dem Schlafsack schneiden" hätte können. 6 Stunden, so schätzt er habe er im Laufe dieser fast vier Tage dauernden Tortur geschlafen. Speziell die letzte Nacht hatte es in sich, da war nix zu sehen und es ging raumschots in einer permanente Gischtfahne Richtung Ziel. Wie seine Crew das überall lauernde Treibholz und die hier noch zahlreichen Wale meiden konnte? ”Bei Tag navigierst du auf Sicht, also kein Problem”. Und bei Nacht? “Da geht auch das Treibholz schlafen…” Doch wie im Video zu sehen, kamen die Mad-Dog-Jungs gut gelaunt und unbeschadet im Ziel an und legten im engen Hafen von Ketchikan dann noch ein perfektes Anlegemanöver unter Segeln hin. Und das nach mehr als 92 Stunden auf einem bockenden Biest von einem Kat, ungeschützt, unrasiert und unausgeruht. Schon alleine dafür gebührten ihnen viele Biere und die zehn Tausender.
Knapp 17 Stunden hinter Mad Dog ging Jungle Kitty eine 40-Fuß Kielyacht als zweite durchs Ziel, eine echte Sensation, denn sie hatte im Kampf um den, nun ja, schrottigen zweiten Preis eine ganze Flotte von Trimaranen “ausgestochen”. Das Geheimnis: Treten bis zum Umfallen, wenn die Brise Löcher hatte. Mannschaftsmitglied Anthony Boscolo entwickelte speziell für diese Regatta einen genialen Pedalantrieb, der vier Faltradgebeine mit zwei hochklappbaren Propellern verband, die für bis zu 4 Knoten Speed gut waren. Im Schweiße des Angesichts der Mitsegler. Doch im Unterschied zu der Dreiercrew von Mad Dog, waren auf Jungle Kitty ganze acht Mann im Einsatz, die eine gesunde Rotation der Wachen ermöglichten. Dann kam mit Big Broderna der erste Trimaran, gefolgt von Madrona, einem weiteren Monohull, einem Cruiser/Racer, der von Star-Olympiasieger Bill Buchan gezeichnet wurde, der auch mitsegelte.

Messer gewonnen, Trimarane geschlagen: Jungle Kitty mit dem innovativen Fahrradantrieb am Heck. Foto: Dieter Loibner
Auch wenn Geld und Messer schon vergeben sind, geht der Kampf um die Ehre und um “Fertig in Ketchikan” weiter. Extremabenteurer Colin Angus, der erste Einhand-Athlet liegt vor zahlreichen größeren Yachten mit voller Crew. Auch der Franzose Mathieu Bonnier, der mit einem von Sam Manuard konstruierten Rudertrimaran am Geschehen teilnimmt, ist noch im Rennen. Genauso wie die drei Querschnittgelähmten von Team Alula, die ohne Assistenz einen stinknormalen Trimaran des Typs F27 Richtung Ketchikan pilotieren.

Bester Einhandartist: Colin Angus mit seinem selbstgeschnitzten Ruder-Trimaran und einem Ketschrigg, das er aus zwei nachgeschnittenen O'pen-Bic-Segeln zusammenbastelte. Foto: Dieter Loibner
Ausfälle gibt es natürlich auch. Letztes Jahr lag diese Quote bei 50 Prozent. Eines der ersten Opfer war heuer Team Tritium, eine Gruppe von Profis, angeführt von Eigner John Sangmeister und Skipper Ryan Breymaier, der auch mit den deutschen Profiseglern Boris Herrmann (z.B. bei den Rekordfahrten mit Maserati) und Jörg Riechers unterwegs war. Ursprünglich wollte das Team den modifizierten ORMA 60 an den Start bringen, der früher dem America’s Cup-Team von Artemis als Testplattform diente, doch bei der Überstellung ging so manches zu Bruch, sodass man kurzfristig einen deutlich kleineren F32SR-Trimaran borgte, der allerdings für dieses Rennen nicht optimiert war und so schon bald nach dem Start aus dem Bewerb genommen wurde.

Wheelie vor dem Vulkan: Team Tritium beim Testen vor dem Start in Port Townsend. Im Hintergrund der mehr als 4000 Meter hohe Mt. Rainier. Foto: Dieter Loibner
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Zwischenstand am 1. Juli
1. Team MAD Dog Racing
2. Team Jungle Kitty
3. Team Big Broderna
4. Team Madrona
5. Team Mail Order Bride
6. Team Pure & Wild
7. Team Un-Cruise Adventures