Wenn man genug dieser Schiffe ausprobiert hat, kommt beim Gedanken an einen weiten 70-Fuß-Flybridge-Cruiser leicht Langeweile auf, einfach weil die Lösungen trotz des großzügigen Platzangebotes an und unter Deck, das den Konstrukteuren zur Verfügung steht, scheinbar periodisch wiederkehren. Man erwartet viele und große Fenster, die mit GFK-Formen geschickt modifiziert das Auge in die Irre führen, indem sie ein ästhetisch angenehmeres, weil kleineres Profil vortäuschen. Man darf auch ein Mannschaftslogis erwarten, eine Master-Suite über die gesamte Schiffsbreite, eine VIP-Doppelkabine für Gäste, ein paar konvertible Doppelkojen und eine Auswahl von nutzergerechten Räumen, die ausschließlich der Unterhaltung vorbehalten sind. Darüberhinaus erwartet man (und bekommt ohne Ausnahme) eine ellenlange Liste von Optionen und Aktualisierungen, die eine schmeichelhafte Illusion erzeugen, dass diese dreistöckige Fahrtenyacht gar eine Maßanfertigung sei. Und dann gibt es noch die Prestige 680 S, die dieses selbstgefällige und hinlänglich bekannte Flybridge-Konzept auf den Kopf zu stellen sucht.

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Flott, aber keine Rakete: Die von 2 Volvo Penta IPS 1200 angetriebene Yacht glänzt eher durch gediegene Fahreigenschaften als durch Topspeed und Beschleunigung.



Gleich vorweg, die Erscheinung dieser Yacht, die gemeinsam von der slowenischen Firma J&J Design und Garroni Design aus Italien entworfen und gestaltet wurde, ist höchst markant. Als die sportliche Variante der 680 weist sie ein Flydeck auf, das achterlich versetzt ist, womit sie geduckter wirkt, ohne aber die Kopffreiheit auf dem Hauptdeck zu beeinträchtigen. So entsteht auch Platz für ein großes Sonnendach über dem Innensteuerstand, doch der Effekt dieser Anordnung auf das Äußere ist besonders beeindruckend: Trotz der drei Decks hat dieses Schiff irgendwie ein ziemlich moderates Profil, mit einer Durchfahrtshöhe, die um mehr als 1,20 m geringer ist als die der konventionellen 680. Berücksichtigt man dann auch die silbern verspiegelten Fenster, die mit der gefälligen Reflexion des Himmels den vertikalen Maßstab optisch weiter verringern, hat man eine 21-Meter-Yacht vor sich, die so schnittig daherkommt, wie kaum eine andere in diesem Segment.

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Elegante Erscheinung: Selbst vor Anker strahlt die Prestige 680 S noch Dynamik aus, die für Yachten dieser Größe selten ist.


Interieur


Trotz der stark geschrägten Linien fühlt sich die 680 S innen immer noch erstaunlich geräumig an. Das ist sicher auch dem offenen Layout geschuldet, aber auch in traditionell beengten Räumen wie Treppenaufgängen und Duschkabinen sind die Dimensionen großzügig, sowohl was die Grundfläche betrifft als auch die Kopffreiheit. Das Hauptdeck ist in zwei Etagen eingeteilt, mit Küche achtern und Essbereich im tiefer gelegten Salon sowie einem erhöhten, sehr expansiven Lounge-Bereich, der sich an den Steuerstand anschließt, der zwei Personen Platz bietet. Buchstäblich das gesamte obere Areal wird durch das Sonnendach in natürliches Licht getaucht, wobei aber die verkleinerte Flybridge am Dach dennoch ein voll ausgestattetes Deck ist, mit Wetbar, Esstisch und einer Rundumscheibe, die anders als auf andern Schiffen, sowohl dem Steuermann als auch den Sonnenanbetern vernünftigen Schutz bietet.

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Oase mit Stil: Die verschiedenen Deck- und Innenbereiche reflektieren den Luxusanspruch dieser Yacht



Doch erst unter Deck zeigt sich, wie sehr sich die 680 S tatsächlich von der Konkurrenz unterscheidet. Bei vielen Schiffen dieses Typs wird der Platz vorne im Rumpf von einem Labyrinth von Gästekajüten eingenommen, während die Eignerkabine unter den Salonboden gepfercht wurde und noch dazu direkt an das vordere Schott des Motorraums angrenzt. Doch hier sind die Räumlichkeiten genau umgekehrt angeordnet. Durch das Verlegen der Mastersuite in den Bug konnten sowohl Stehhöhe als auch der natürliche Lichteinfall dramatisch verbessert werden. Und die Privatsphäre ist ebenfalls erstklassig, weil die Gästekabinen mittschiffs von der Steuerbordseite des unteren Salons separat zugänglich sind.

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Andersrum: Im Unterschied zur Konkurrenz befindet sich auf der 680 S die Eignerkajüte im Vorschiff, wo mehr Ruhe und Privatsphäre herrscht


Unterwegs


Wenn man die Hebel auf den Tisch legt, kommt die Prestige in etwa sieben Sekunden ins Gleiten und nähert sich nach ungefähr 30 Sekunden der Höchstgeschwindigkeit von 30 Knoten. Weder Beschleunigung noch Topspeed sind dabei außergewöhnlich, aber die solide Balance des Bootes ermöglicht sichere Kurvenfahrt bei konsistenter Geschwindigkeit, spielerischen Steuerbewegungen und einer bemerkenswerten Raffinesse. Wenn man sich bei 2000 Umdrehungen pro Minute einpendelt, kommt man in den Genuss der lässigsten und zivilisiertesten 23 Knoten, die man sich ausmalen kann. Man kann sich dabei sogar in gedämpfter Lautstärke unterhalten, denn auch bei offenem Schiebedach sind Lärmpegel und Vibrationen minimal.

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Licht Luft: Der Innensteuerstand der 680 S mit offenem Schiebedach



Die Handhabung der 680 S hat nichts vom uneleganten Schlingern und behäbigen Torkeln eines Kreuzers mit zu hohem Schwerpunkt, sondern bietet das aktive, gelassene Krängen und Aufrichten einer gut konstruierten Yacht. Der tiefere Schwerpunkt und der geringere Windwiderstand der kleineren Flybridge tragen mit Sicherheit ihren Teil dazu bei, aber auch die Tatsache, dass es keine verwirrenden Motorisierungsvarianten gibt, die diese runde Dynamik verderben könnten. Die 680 S wurde nämlich rund um eine Doppelanlage von Volvo Penta IPS 1200 Pod-Antreiben mit je 900 PS konzipiert. Natürlich könnte man mit anderen Motoren oder Antriebsvarianten noch den einen oder anderen Knoten aus dem Schiff herauskitzeln, doch dieser Gewinn dürfte teuer bezahlt werden, mit zusätzlichem Gewicht, reduzierter Reichweite, weniger Finesse, mehr Unruhe beim Handling und mit einem aufgeblasenen Preisschild. Klar, Kunden wollen Optionen, weshalb sie diese von den Werften auch angeboten bekommen, doch in diesem Fall macht es wohl mehr Sinn, sich auf das Wissen und die Erfahrung der Konstrukteure zu verlassen.

Aber auch auf einem Prunkstück wie diesem gibt es ein paar Irritationen, wie zum Beispiel einen Lautsprecher oben am Windschutz des Hauptdecks, der in der perfekten Position montiert wurde, um sich im Vorübergehen den Kopf anzurennen. Dass das Ding von Bose ist mag den Schmerz ein wenig lindern, aber ideal ist das auf keinen Fall. Dann ist die Seitentür des Steuerstands zu weit achtern, um irgendeinen praktischen Nutzen zu haben. Deutlich verdrießlicher ist aber die Tatsache, dass viele Türen auf dem ganzen Schiff zu hohe Schwellen haben, über die man nur all allzu leicht stolpern kann.

Zusammenfassend


Für alle, die sich wünschen, dass Konstrukteure Dinge nicht nur gestalten sondern auch wirklich besser machen, sollte die Prestige 680 S ein Lichtblick sein. Die Raffinesse und Contenance an Bord sind überragend, die Platzaufteilung beispielgebend. Das Schiff sieht aus wie ein sportliches Coupe, verfügt aber über eine Flybridge und ein Schiebedach, ohne die Kopffreiheit auf dem Hauptdeck zu kompromittieren. Doch nicht nur die Maße und Spezifikationen beeindrucken, sondern auch das Feeling an Bord insgesamt. Flydeck oben, Eigner-Suite vorn, griffige Handhabung und dynamische Balance in Fahrt, dazu die stark geschrägten Linien und das Spiegelglasfinish ihres Äußeren: die Prestige 680 S ist im Moment wohl eine der anmutigsten 70-Fuß-Yachten, die man für sein Geld bekommen kann.

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Schnittig: Kaum eine 21-Meter-Yacht mit 30 Tonnen Verdrängung ist so attraktiv gestylt wie die Prestige 680


Spezifikationen Prestige 680 S


Lüa: 21,46 m
Rumpflänge: 19,08 m
Tiefg.: 1,58 m
Verdr. (leicht): 30 t
Treibst.: 3450 L
Wasser: 920 L
Kabinen: 3/4 + Mannschaftslogis
Motorisierung: 2 x IPS 1200 - Volvo D13 - 900 PS
Generator: 22,5 KV - 230 V
CE-Kategorie: B 16
Konstrukteur: J&J Design/Garroni Design

Werft


Prestige
Route de La Roche sur Yon,
85500 Les Herbiers
Frankreich

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Geschrieben von: Alex Smith
Alex Smith is a journalist, copywriter and magazine editor with a long history in boating and a happy addiction to the water. He’s worked on boats, lived on boats, bought boats, sold boats and – when he’s not actually on board a boat – he can generally be found in his Folkestone office, tapping away at the computer and gazing out to sea.
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